Musikalisches Glaubensbekenntnis

In meiner Welt gehören Bild und Ton, also Malerei und Musik, zusammen wie Stadler und Waldorf in der Muppet Show. Mein Bruder Matthias, Sänger und Bassist der legendären Punkrockband „Geile Götter“ beschrieb das voll treffend so:

Zitat Jo könnte locker jeden unserer Songs malen.
Und die Geschichten seiner Bilder sind wie Songs, die wir spielen.

Hier sind ein paar coole Beispiele für diese Kreativsymbiose. Mehr zum tonalen und lyrischen Schaffen ist bei JoMusik am Start.

Geile Götter, Dr. Einlauf

Das Jesus ein großer Heiler war, bestreiten nur wenige. Was der Messias allerdings damals nicht in seinem Wunderheilerreperaturset hatte, war die medizinische Allzweckwaffe Einlauf. Selbst tödliche Erreger der heutigen Glaubensterroristen haben da keine Chance.

GEILE GÖTTER - Das Kirschblütenfest

– Prolog –

 

Der sehr geschätzte Kollege Heinz Strunk hat in seinem wundervollen Buchbestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ unnachahmlich die Muggerwelt beleuchtet. (Mugge – Musik gegen Geld)

Man könnte fast sagen: »Er hat sie manifestiert.«

Das aber nicht nur Tanzkapellen von auftrittstechnischen Fehlbuchungen betroffen sind, zeigt der folgende wahre XXXS-Tatsachenroman aus der stilistisch polarisierenden Orientierungsphase unserer göttlichen Kapelle.

 

 

 – Tellerrand und Ankunft –

 

Es kommt die Zeit, in der die musikalischen Stadt-Helden hoch motiviert über den regionalen Rock’n Roll-Tellerrand hinausschauen, um die große weite Welt abzuchecken. Was gibt es da Besseres, als eine noch höher motivierte Konzertagentur.

Eine dieser Agenturen schickte uns in die Oberlausitz. Irgendwohin zwischen Kamenz und Bautzen zu einem Kirschblütenfest. Eine Region, über die wir nicht viel wussten, schon gar nicht, wie die Leute hier drauf sind. Wir hatten auch nicht erwartet, dass dort katholische Kirchenhardliner auf der heiligen Matte stehen.

Man sagte uns nur, es wäre gefährlich weit östlich im berüchtigten Land der drei Meere: Waldmeer, Sandmeer Garnichtsmeer.

Mit der ersten sicheren vierstelligen Gage in der Tasche zogen wir los, um es im Bautzenland richtig krachen zu lassen.

Unsere Ankunft war euphorisch und ein blütengespickter Festplatz samt Festpräsidium empfing uns äußerst herzlich. Liebevoll eingerichtete Bierwagen verteilten die ersten Probezapfungen und verströmten mit dem verdienten Willkommenszigarettchen den vertrauten Kirmesgeruch.

Alles war gut, denn die Stars waren ja nun da.

 

 

 – Die Soundchecker –

 

Aufbau und Soundcheck verliefen vorerst problemlos. Wenn wir eins von unserem Profitechniker Ralf gelernt hatten, dann war das die Tatsache, dass ewiges Rumgebastel auf der Bühne und sackgängige Ich-hör-mich-nicht-richtig-Nervereien die Betriebslaune aller Beteiligten rapide in den Keller bewegt. Wohlwollend trugen die Gaffaband-bestückten Leathermänner der Beschallungsfirma  in ihren schwarzen Overalls die sperrigen Monitorsteine von der Bühne. Sie freuten sich. Ersparte ihnen doch unser In-Ear-Kopfhörersystem eine mögliche Feedbackorgie.

Bis hier hin lief es. Beruhigt gingen wir noch davon aus, dass sich der Veranstalter beim Bandnamen Geile Götter zumindest grob über uns informiert hatte. Scheinbar nicht so wirklich.

Wie gewohnt spielten wir dann den ersten Probiersong an, der von uns selbstherrlich „Götterlied“ genannt wurde und dem Aufbau- und Getränkepersonal mit fetter Gitarre, sattem Bass und Doppel-Bässen (Double Bass Drum) wie eine Art deutschsprachiges Motörhead-Gewitter um die Ohren flog.

Als im Refrain dann gutverständlich » Wir sind Götter, so geile, geile. Kommt mit uns auf die sündige Meile. Vom Himmel sind wir zu Lust und Liebe bestimmt, trinken Schampus und bumsen auf dem Olymp.« ertönte, zeigten sich die ersten prüden Süßsauergesichter in den näheren alkoholischen Tankstationen.

Nur gut, dass wir damals nicht gleich das Lied „Blumenkohl“ angespielt haben. Da hätten die Kirchies wahrscheinlich reanimiert werden müssen, noch bevor der ganze Spaß losgegangen war.

 

 

 – Black Magic –

 

Eine erste wirklich kleine Stimmungswende im idyllischen Blütenmeer vollzog sich kurz nach Ende des Soundchecks, als einer der Stagies (Bühnentechniker) fragte, wer denn die mühevoll fachmännisch mikrofonierten Congas spiele?

Wir holten ganz selbstverständlich unseren Freund Black Magic auf die Bühne, stellten ihn mit seinem glitzernden Paillettenhemdchen hinter die Congas und klebten seine Hände mit schwarzem Gaffa, auch als Panzertape bekannt, auf den Schlagfellen fest.

Black Magic war ein dunkler Erotikpuppenmann im African-Style aus Beate Uhse’s Aufblas-Prostituiertenfamilie, der ein so bezaubernd unförmiges Lächeln hatte, bei dem man sich kaum vorstellen konnte, dass jemand tatsächlich diesen unnatürlich rosanen Plastemund im Oralbetrieb benutzt. Uns waren diese überschätzten Äußerlichkeiten aber ziemlich Wurscht, denn niemand aus der Band und deren Umfeld hatte je etwas Ernstes mit ihm. Wir waren einfach nur „gute Freunde“. Denn gerade wenn die Gefühle zu einem Musikerkollegen zu intensiv werden, ist oftmals das Gleichgewicht unter den Akteuren stark gefährdet. Das gilt besonders bei festen Beziehungen zu Sexpuppen.

An diesem Tag sollte unserem Aufpuste-Afrikaner das Lächeln jedoch vergehen. Unser Sänger und Bassist riss entschlossen ein Stück des besagten schwarzen Bandes ab und klebte es Blacky auf den Mund.

Durch sein Mikrofon verkündete er über den ganzen Platz den betroffen blickenden Bierwagenbestückern:

 

»Das ist nur zur Sicherheit, damit er nicht anfängt zu rappen!«

 

Auch das konnten die meisten katholisch geprägten Kirschblütler gerade noch überhörend wegstecken, weil sie die wahre Bestimmung unseres luftgefüllten Gigolos mit seinem vibrierenden Gummifreund noch nicht wirklich sehen konnten. Eine beginnende Grundfestigkeit war jedoch deutlich zu spüren.

Einzig die Tonleute schüttelten trotz der Umsonstverkabelung der Congas anerkennend die Köpfe und honorierten diese sinnlose Spinnerei mit einem: »Herrlich, so bekloppt muss man erstmal sein!«

 

 

 – Pressalien –

 

Nun folgte der Promotionteil: Der obligatorische Pressetermin mit der Kirschblütenkönigin und ihrer Prinzessin. Beides zart anmutende Schönheiten mit krasser Haarflechtakrobatik auf dem Kopf.

Wir fühlten uns fast wie bei einer Privataudienz beim Ferengi-Ohr-König Charles ӀӀӀ (damals noch Prinz) im englischen Buckingham Palace.

Der Eventhäuptling vor Ort besaß zwar nicht ganz Charly’s Befugnisse, hatte aber  höchstpersönlich den originellen Einfall, man könne doch das gemeinsame Heile-Welt-Foto in unseren Bühnenoutfits machen.

 

»Kein Problem Boss« sagten wir dem aufgeknöpften Jeanshemd-Schmalzi und dachten: »Geil, der Typ ist locker drauf und scheint sich ja doch unsere Band(akt)fotos und die Infos angeschaut zu haben.« Dachten wir.

 

Also los ging’s. Strapse, Lack und Leder anlegen. Dazu knallrote Lippen und diverse Accessoires wie Stachelhalsbänder und Nietenfummel aus Black Magic’s Stammladen und auf zum kirschroyalen Posing.

Und da war er, der zweite Festgeher des Tages.

Unser erotischer Aufmarsch erzeugte bei den Majestäten und ihrem stocksteifen Gefolge sofortige Verspannungen. Die beiden jungen Grazien wünschten sich vermutlich nichts sehnlicher, als die erlösende Falltür. Doch sie konnten unserer lose geklopften Flachkonversation und unserem aufgedonnerten Antlitz einfach nicht mehr entkommen.

Die Fotografen dagegen feierten uns dankbar überschwänglich, hatten sie doch an diesem Wochenende mal keine Kaninchenausstellung, nicht die x-te Übergabe eines Löschzuges an irgendeine Gemeinde Lausitzdorf oder ein Holzhacker-Kreisderby zu knipsen. Und mal ehrlich: Unsere ranken, exquisiten Rockerkörper waren ja auch weiß Gott eine andere Hausnummer, als die zerrungsten Fußballerwaden und die bolzenden Bierbauchansätze in der Knackwurschtliga.

 

 

– DJ Wolle –

 

Während das Zeitungs-Shooting mehr oder weniger widerwillig mit angestrengter Künstlichkeit verlief, erschien in unserem Blickfeld der wegweisendste Eventbaustein des Festes. Unterhalb des zukünftigen Bühnenarbeitsplatzes zimmerte ein ca. 150 cm großer Mann mit kaschierter Halbglatze und verschwitztem Sony-T-Shirt ein tischähnliches Gebilde zusammen.

Es dauerte einige Zeit, bis wir mitbekamen, dass von diesem Tisch, der eher wie eine Bastelbude aussah, Konservenmusik ausgehen sollte. Das war er also: Der schon mehrfach erwähnte Super-DJ. Wichtigster Garant für einen gesellig gröligen Tanzumtrunk.

Der Linecheck mit Wolle Petrys kompletter „Längsten Single der Welt“ bescherte uns und den ersten üblichen Eintritt-Drückebergern sogleich einen aussagekräftigen musikalischen Vorgeschmack auf die bevorstehende traditionelle regionale Ausgelassenheit.

Wir dachten sofort an 1, 2-Tipp… 1, 2-Tipp…, denn das war bei solchen Discos gefragt. Meistens so lange, bis sich irgendwann dann doch ein schwedischer Megahit in die Setliste einschlich und alle bisherigen Nichttänzerinnen ihren bierselig eingetrunkenen Bewegungsmuffel kreischend mit »Das ist ABBA, das ist unser Lied!«  auf die Tanzfläche zerrten. Dieses Szenario im Kopf empfanden wir ja eigentlich als nicht so schlimm, doch ahnten wir schon, was da uns betreffend unterhaltungsmäßig dramaturgisch im Anflug war.

 

Dann begann die Lausitzer Kirschblüten-Festrevue. DJ Wolle heizte den Gästen mit seinem Dance-Schlager-Potpourri so richtig ein. Wolfgang Ziegler stand verdammt nochmal im Regen, Wenke Myhre schipperte mit ihrem knallroten Gummiboot durch die Gegend und der ewige City-Geiger fiedelte gefühlte 10 Minuten dramatisch am Fenster umher.

Nun war der Moment gekommen, an dem es zu viel für uns krasse Aufmucker wurde. Hier passte gar nichts mehr zusammen. Wir gehörten hier her, wie der grüne Anton „Hofi“ Hofreiter in einen Berliner Szenefrisör.

Spätestens jetzt mussten wir uns an der eigenen Nase zupfen und uns fragen, was denn eine aufmüpfige Rock’n Roll-Kapelle namens Geile Götter auf einem erzkonservativen Kirschblüten-Open-Air zu suchen hatte. Ein Open-Air, auf dem herausgeputzte Familien nicht anstößig getriggert werden wollten, sondern eher hofften, wohlverdient ihrem gebeutelten Alltag in die versprochene blühende Landschaft zu entfliehen.

Für uns Blasmusik- und Halbe-Liter-liebende Privatpersonen wäre das absolut vertretbar und genau unser Ding gewesen, aber nicht doch für eigenständige, hochintelligente Künstler mit revolutionären deutschen Weisheiten an Bord. Gebucht ist aber gebucht und fertig!

 

 

 – Die Rache –

 

Gelenkt von den gruseligen Eindrücken der letzten Stunden musste jetzt ein gut überlegter Masterplan her. Wie sollten wir erhobenen Hauptes aus diesem bevorstehenden Auftrittsdesaster als unbeugsame Punkrockhelden herauskommen? Und das noch mit zwei getrennten Konzertblöcken, wie es das gut durchdachte Festprotokoll vorschrieb?

So viel vorweg: Wirklich geplant wurde nur wenige Minuten und der Plan ging auf!

Die Dunkelheit brach herein. DJ Wolle verabschiedete sich mit »Kling, Klang, ding dong, du und ich, die Straßen entlang« für’s Erste aus den Boxen und sein kunterbuntes unrhythmisches Rummellicht erlosch.

Erhellt von den „richtigen“ Scheinwerfern vollzog nun der charmant stammelnde Jeanshemd-Chefschmalzi eine wenig euphorische Geile Götter-Ankündigung.

Wir betraten die Bühne und legten los. Noch schneller und wilder, als sonst, Hauptsache provokant. Wenn schon unpassend, dann richtig.

Unser Götterlied fegte durch die Luft und trieb den Lautstärkepegel gehörig in den roten Bereich. Geil!!!

Das ostrockverwöhnte Biederpublikum war allerdings, wie zu erwarten, von derartigen Songgeschwindigkeiten, einem Sänger im hautengen Glitzerminikleid und Wehrmachtsstiefeln, einem bestrapsten Gitarristen und einem lackhosigen Drummer mit zwei Airbrush-Brüsten auf den Bassdrum-Fellen erstmal komplett überfordert und moralisch erschüttert. Der Applaus nach unserem Krawall-Opener erschien nicht wirklich uns zu gelten. Er folgte eher einem Automatismus, den die Volksgemeinschaft bei ihren gewohnten Top 40 Bands erlernt und verinnerlicht hatte.

Und dann: Der glitzernde Sänger schaute in die verklemmte Menge und dachte sich: »So, jetzt kriegen sie’s richtig!«.

Gedacht, getan trat er ans Mikro und setzte zur finalen Begrüßungsansage an:

 

»Hallo Leute… Hallo Lausitz. Danke, dass wir bei euch sein dürfen! Wir konnten heute schon sehen, was das hier für eine lockere Gegend ist und wie unverkrampft und sexuell offen die Menschen hier sind. Die beiden Mädels dort, die Kirschqueen und ihre heiße Prinzessin, sehen voll sexy aus in ihren engen Kleidchen und vorhin habe ich schon einen schniefenden älteren Herrn mit einem kleinen Jungen an der Hand über den Platz schlendern sehen.« Totenstille. Und weiter:

»Meine Damen und Herren, sie erleben heute hier die lesbischste Boyband Deutschlands… die Kapelle Geile Götter!!! Der nächste Song heißt „Blumenkohl“. Blumenkohl werden hier wahrscheinlich eher die Männer kennen, die kitzelnd nach ihrem Thailandurlaub im Wartezimmer beim Hautarzt sitzen, oder?«

 

Das war zu viel. Die Mamas zogen ihre Kinder vor der Bühne weg und von den Herren flogen uns peinlich verachtende Blicke zu, während wir äußerst amüsiert und höchst unsensibel erst recht unser erstes Set mit Hits wie „Dr. Einlauf“, „Brigitte“, „Pabst Paul 2000“, „Untenrum“ und „Samenstau“ abfeuerten.

Welch eine genugtuende künstlerische Rache für unsere unverschuldete Fehlbesetzung an diesem Abend.

 

 

-Der Abgang –

 

Zufrieden und gegenseitig abklatschend beendeten wir die erste Runde und begaben uns durstig an den uns zu betreuenden Getränkewagen, während Wolle wieder die uneingeschränkte Macht über die Tanzfläche hatte. Show must go on!

Unser Tonmann Ralf kam feixend vom Mischpult rübergeschlendert, als sich ein stark müffelnder, rappeldürrer Abgesandter des Organisationskomitees mit gesenktem Haupt näherte und seine gut sortierten diplomatischen Worte an uns richtete: »Jungs, ihr seid wirklich klasse und wirklich sehr gute Musiker, aber ihr seht ja vielleicht selber äh… was hier läuft äh… und dass euer Bandkonzept vielleicht nicht so ganz zu unserem Fest äh… und zu unserem Publikum passt.«

»Wirklich?… echt?« taten wir völlig überrascht.

»Wäre es für euch sehr schlimm… äh… könntet ihr es ermöglichen… äh…, die zweite Runde wegzulassen? Ihr bekommt weiter alles frei und auch die volle Gage!« (Wahrscheinlich hätten die Typen noch Geld draufgelegt, um uns auch sicher loszuwerden).

Einstimmig und im Angesicht unseres gerade eingefahrenen Schocktriumphes nahmen wir dieses noble Angebot an und bereiteten sogleich unseren schnellen göttlichen Abgang vom Festgelände vor.

Unser Equipment verstauten wir in Rekordzeit, um dann mit einem ausgelassen fröhlichen »Macht’s gut, danke und bis zum nächsten Mal« in Richtung Hotel zu entschwinden, denn hier wartete die zünftig gesponserte After-Show-Party und herrliche, ungewohnt weiche Hotelbetten auf uns.

 

 

 – Epilog –

 

 

Mit all den abenteuerlichen Eindrücken und der Gewissheit auch wirklich genügend kostenlose Biere getrunken zu haben, schliefen wir zufrieden ein und fuhren am nächsten Tag nach Hause mit der Tatsache im Hinterkopf, dass uns die gleiche Agentur am nächsten Wochenende zu einer 900 Jahrfeier ins Schweriner Umland nach Gadebusch vermittelt hatte. Aber das wird mal ein neuer Miniroman werden, denn dort begann es ähnlich und wurde dann jedoch komplett anders.

 

 

Für Ralf, Harry Fox und DJ Wolle.

 

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